Wenn BGH-Richter die Bodenhaftung verlieren....

Achtung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Jetzt ist es von den hoch ehrenwerten Richtern des 9. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs entschieden: Wir haften für die Dummheiten, mit denen wir uns so täglich herum zu schlagen haben. Juristisch korrekt heißt das dann so:

Mit Rücksicht auf das auch bei Richtern nur unvollkommene menschliche Erkenntnisvermögen und die niemals auszuschließende Möglichkeit eines Irrtums ist es Pflicht des Rechtsanwalts, nach Kräften dem Aufkommen von Irrtümern und Versehen des Gerichts entgegen zu wirken. Die Haftung des Rechtsanwalts nimmt der Bundesgerichtshof im Regelfall auch dann an, wenn ein Fehler des Gerichts insbesondere bei der rechtlichen Prüfung des Streitfalls für den Schaden einer Partei mitursächlich geworden ist (Az.: IX ZR 4/10)“.

Jetzt haben wir Rechtsanwälte es schwarz auf weiß. Wir sind schuld, müssen wir doch alles Erdenkliche unternehmen, um unsere Richter auf ihre Rechtsirrtümer hinzuweisen, auf die Einhaltung prozessualer Vorschriften und mitunter auch auf eine objektive und sachliche Prozessführung. Nun, welche Purzelbäume werden uns da abverlangt, wenn sogar ein Landgerichtsvizepräsident die Contenance verliert und in der mündlichen Verhandlung schreit „Was bilden Sie sich ein“ wenn unsereins darauf drängt, die Zeugenaussage wortgetreu und vollständig zu protokollieren (LG Nürnberg-Fürth; Az.: 1 O 7140/09). Oder der Vorsitzende Richter sich mit der Begründung „Ich mache, was ich will“ weigert, einen Antrag zu protokollieren und diese Aussage dann später sogar noch wahrheitswidrig abstreitet (LG Koblenz, Az.: 3 O 374/10). Oder ein Richter keine Einwände erhebt, wenn der gegnerische Rechtsanwalt neben ihm am Richtertisch Platz nimmt und der Eindruck entsteht, dass beide gemeinschaftlich die Verhandlung führen (LG Wiesbaden, Az.: 7 O 5/08).

Zugegeben, das sind einige drastische Beispiele. Und Gott sei Dank noch nicht repräsentativ. Hier zu intervenieren ist ganz selbstverständlich die Pflicht von uns Rechtsanwälten. Aber was nützt es, wenn es in den Beschlüssen dann heißt: „Die Beschwerde wird aus den zutreffenden Gründen der Entscheidung des Erstgerichts zurück gewiesen“ und man deutlich merkt, dass der Richter des Beschwerdegerichts noch nicht einmal das Papier der Entscheidung des Erstgerichts berührt hatte. Noch nicht einmal mit den Fingerspitzen!

Uns da für die Unvollkommenheit, ich nenne es Unverfrorenheit, eine Haftung aufzuerlegen, geht dann doch zu weit. Hilfreicher wäre es da, wenn unsere Richter in den roten Roben etwas runter von ihren fliegenden Teppichen kämen, Bodenhaftung aufnähmen und einmal an die eigene Zunft appelliert hätten, das Willkürmäntelchen abzulegen, da ansonsten vorrangig an eine Amtshaftung anstatt an eine Anwaltshaftung zu denken ist.

Aber davon wollen unsere ehrenwerten Richter nichts wissen. Was bleibt übrig? Eine Justiz, die im Begriff ist, sich selbst abzuschaffen.

Das doch noch nicht ganz Hopfen und Malz verloren sind, zeigen aber auch andere Beispiele. Es gibt sie noch, die verantwortungsvollen Richterinnen und Richter, die sich dem Gesetz verpflichtet sehen und trotz eines Aktenumfangs von 4 Leitz-Ordern in der Verhandlung hervorragend vorbereitet sind und die Verhandlung derart souverän und objektiv führen, dass man auch nach fast 17 Jahren Anwaltstätigkeit noch ins Staunen gerät, wie die Vorsitzende der 1. Kammer des Arbeitsgerichts Hannover. Oder der 4. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken, der sich nicht mit der „unvollkommenen Entscheidung“ des Erstgerichts zufrieden gibt, sondern diese Entscheidung mit einer lehrbuchartigen Begründung aufhebt. Oder der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg, der sich durch hervorragende juristische Fachkenntnisse, wie auch die 7. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth als Erstgericht auszeichnet. Und die vielen Anderen, die ich hier aus Platzgründen nicht nennen kann.

Der 9. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs aber ist kein gutes Beispiel für unsere Justiz. Schade!

Yes, we do!

Kommentare

Doch, er ist ein gutes Beispiel, allerdings für die zunehmend verkommende Justiz und die letzte Berufsgruppe, die sich jeglicher Haftung für eigenes Fehlverhalten entzieht und sich erstmal, dem pawlowschen Reflex folgend, auf Art. 97 GG beruft.

Gähn

Die zitierte Entscheidung ist vom 14.10.10 und fusst auf der Entscheidung vom 18.12.08 (IX ZR 179/07).

Wenn Sie das jetzt als große Sensation verkaufen wollen, spricht das nicht gerade für Sie

Nicht "Schade!" muss es heißen, "Schande!!!" wäre richtig.

Die Beispiele, die Sie anführen, liegen leider alle neben der Sache. Wenn Sie gerichtliche Fehler zu verhindern versuchen, indem Sie die beanstandeten Verhaltensweisen rügen, Rechtbehelfe/-mittel einlegen o.ä., sind Sie bzw. Ihre Haftpflichtversicherung aus dem Schneider, und zwar auch nach der bereits jahrzehntealten (BGH, Urt. v. 25.06.1974 - VI ZR 18/73) und vom BVerfG grundsätzlich abgesegneten (wenn auch etwas eingegrenzten,1 BvR 399/02) Rechtsprechung.

@ Savigny: Wer klug redet, sollte auch klug sein. Die Haftung des RA ist keine Frage der Kasuistik. Eine Haftung ergibt sich aus dem Dienstvertrag und ein Irren der Richter unterbricht die Kausalkette eben nicht, weil nicht Gegenstand des Vertrages. Gerade in Unterhaltssachen sehr gefährlich, wenn sich das Gericht verrechnet und der RA nichts merkt Gähn.....